Ernesto Mellado

Franz Biberkopf und die politischen Spannungen der 1920er Jahre

28. Februar 2025

Im Deutschunterricht haben wir Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz gelesen. Dieses Werk ist eines der bedeutsamsten des 20. Jahrhunderts und war wegen Döblins innovativem Collage-Schreibstil ein einzigartiges Leseerlebnis für mich. Im Rahmen dieses Blogs werde ich mich dem historischen Aspekt von Berlin Alexanderplatz widmen und besonders die Widerspiegelung der politischen Situation der Weimarer Republik genauer betrachten.

Grosse gesellschaftliche Veränderungen

Im Unterricht haben wir bereits ausführlich über die gesellschaftlichen und politischen Turbulenzen der 1920er Jahre in Deutschland gesprochen und darüber, wie diese zum Aufstieg der NSDAP unter Adolf Hitler führten. Der Erste Weltkrieg ist gerade vorbei, und viele verwundete und traumatisierte Soldaten kehren von der Front zurück. Darunter befindet sich auch Franz Biberkopf, der Protagonist dieses Werkes. Obwohl seine Traumata kaum oder sogar gar nicht im Buch thematisiert werden, prägen sie die Zeit massgeblich. Während des Ersten Weltkriegs wurden viele Frauen zum Dienst in Fabriken oder anderen bedeutenden wirtschaftlichen Bereichen aufgeboten und verdienten oftmals zum ersten Mal ihr eigenes Geld. Dies trug massgeblich zur Entwicklung eines damals modernen Frauenbildes bei. Dieses Bild war geprägt von grösserer sexueller Freiheit und dem Bruch bisheriger sozialer Normen. Parallel zu dieser gesellschaftlichen Entwicklung gab es auch viele weitere Veränderungen, wie zum Beispiel die rasante Urbanisierung in Grossstädten, wirtschaftliche Unsicherheiten (Hyperinflation, hohe Staatsverschuldung) und politische Instabilität.

Als Inspiration für Berlin Alexanderplatz dienten Alfred Döblins Erfahrungen als Arzt in Berliner Vierteln, in denen grösstenteils die Unterschicht lebte. Im Unterricht haben wir besprochen, dass Döblin dort mit der Ausbeutung von Frauen, gewalttätiger Kriminalität, Suchtproblemen, starker sozialer Not und politischer Radikalisierung konfrontiert wurde. Dies bildete die Grundlage für seinen Grossstadtroman Berlin Alexanderplatz, in dem er den Leser durch Berlin begleitet und ihm die Stadt mithilfe des äusserst komplexen Protagonisten Franz Biberkopf näherbringt.

Die politische Lage in der Weimarer Republik

Im zweiten Teil dieses Blogs werde ich zeigen, wie Döblin seine Erfahrungen im Berlin der 1920er Jahre mithilfe seines Werkes Berlin Alexanderplatz verarbeitet. Ein Beispiel hierfür ist Franz' Reaktion auf junge Sozialisten, die ihn in einer Kneipe zunächst zum Singen auffordern, ihn anschliessend beleidigen und ihn als "Hakenkreuzler" (= Nationalsozialist) betiteln. Franz' Reaktion darauf ist sehr aggressiv: Er beginnt lautstark, ein nationalistisches Lied zu singen, und brüllt die Jugendlichen an. Seine Reaktion ist meiner Meinung nach sinnbildlich für diese Epoche der deutschen Geschichte. Als sich der Erste Weltkrieg dem Ende neigte und das oberste Kader des deutschen Heeres die totale Niederlage als unausweichlich betrachtete, begannen sie mit den Alliierten Friedensgespräche zu führen. Als Teil dieser Verhandlungen musste sich das Deutsche Kaiserreich auflösen und einer demokratischen Regierung Platz machen. Die Sozialdemokraten spielten hierbei eine grosse Rolle, da sie unter anderem die neue demokratische Regierung stellten.

In konservativen, nationalistischen und militärischen Kreisen sah man diese Verhandlungen, die demokratische Regierung und die als unfair empfundenen Bedingungen des Versailler Vertrags als Verrat am deutschen Volk. Denn laut dieser Kreise war der Krieg nicht wirklich verloren, und man hätte weiterkämpfen sollen. Wie es oft der Fall ist, suchte man sich einen passenden Sündenbock: Aufgrund der weit verbreiteten Angst vor dem Kommunismus, die durch die Revolution in Russland weiter angefacht wurde, konstruierte man das Bild einer linken Verschwörung zwischen Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und anderen Gruppen. Diese hätten angeblich das deutsche Volk von innen verraten und es durch den Versailler Vertrag bewusst demütigen und schwächen wollen.

Eine verbildlichung der "Dolchstosslegende"; Quelle: https://www.planet-wissen.de/geschichte/deutsche_geschichte/weimarer_republik/index.html

Diese Verschwörungstheorien verbreiteten sich wie ein Lauffeuer und wurden von Politikern, Militärfunktionären und einflussreichen Personen gestützt. Dies führte auch zur Bildung der Freikorps, paramilitärischer Gruppen, die sich aus ehemaligen Soldaten zusammensetzten. Diese Truppen waren formal Teil des Heeres, wollten aber nicht kapitulieren und begannen nach dem Krieg gezielt, Sozialisten und Kommunisten anzugreifen. Viele von ihnen wurden später in die SA (Sturmabteilung) aufgenommen, den frühen paramilitärischen Flügel der NSDAP.

Fazit

Obwohl derart radikale Aktionen wie die der Freikorps nicht die Norm für den durchschnittlichen Deutschen waren, war antikommunistisches Gedankengut weit verbreitet. Franz' aggressive Reaktion zeigt dies sehr deutlich. Diese Angst vor dem Kommunismus spielte den Nationalsozialisten in die Hände, da sie mit ihrer extremen antikommunistischen Rhetorik grosse Teile des deutschen Bürgertums und des Militärs überzeugten. So wurden Menschen wie Franz Biberkopf zu Mitläufern, die den Aufstieg der NSDAP guthiessen und gegenüber deren Gräueltaten ein Auge zudrückten. Alfred Döblin zeigt uns diese Dynamik sehr gezielt und zementiert Berlin Alexanderplatz als ein Werk, das man gelesen haben muss – sowohl wegen seines historischen Kontextes als auch wegen seiner anhaltenden Aktualität.

Schreibprozess